Anna Haifisch & Anja Koch

Anjas Schweine
  • Aschenputtel. Aschenputtel ist die Schüchternste aus der Truppe. Das könnte daran liegen, dass ihr die Ohren extrem vor den Augen hängen und sie sich dadurch öfter erschreckt. Sie ist ein liebes, genügsames Tier und ist mit Gretel befreundet. Aschenputtel ist eine gute Mutter, obwohl sie einmal versehentlich ihren ganzen Wurf verwechselt hat. Aus: Anjas Schweine, Digitaldrucke nach Zeichnungen, Text, Maße variabel
  • Kuno. Kuno der Schreckliche ist gar nicht so schrecklich. Er ist sechs Jahre alt und der Vater vieler Ferkel. Er ist nicht die hellste Kerze, aber dafür ein friedlicher Typ. Seine Zähne sind scharf wie Rasierklingen. In seiner Jugend war er das, was man einen Macho nennt. Jetzt balanciert er Steine hinter der Rüsselscheibe und liegt in der Kuhle, bis nur noch der Rüssel rausschaut. Aus: Anjas Schweine, Digitaldrucke nach Zeichnungen, Text, Maße variabel
  • Roswitata. Roswitata ist die Tochter von Hildegard und Eberhard. Nach dem Mordanschlag auf ihre Mutter wurde sie schlagartig zur Halbwaise und musste mit der Hand großgezogen werden. Roswitata hat eine lange Nase und schöne lange Ohren. Man sagt ihr nach, dass sie ein bisschen faul ist, aber das liegt nur an ihrer gemütlichen Art. Aus: Anjas Schweine, Digitaldrucke nach Zeichnungen, Text, Maße variabel
  • Hildegard. Eine unvergessene Sau. Sie wurde von Gretel aus Eifersucht ermordet. Hildegard war ein feines Stadtschwein aus Berlin und a. unheimlich gern Vollkornbrot. Sie war eine gute Mutter und hat ihre schönen Gene an ihre Töchter Roswitata und Hilde weitergegeben. Sie wurde sechs Jahre alt. Aus: Anjas Schweine, Digitaldrucke nach Zeichnungen, Text, Maße variabel
  • Miliszka. Die geheimnisvolle Ungarin. Sie ist neu in der Truppe und eine schüchterne Magalitzasau. Zurzeit lebt sie mit Eberhard zusammen und hat sich mit ihm arrangiert. Nur ganz selten bekommt sie vor Wut eine hübsche Bürste. Aus: Anjas Schweine, Digitaldrucke nach Zeichnungen, Text, Maße variabel
  • Eberhard. Eberhard ist drei Jahre alt und gerade auf Diät. Er ist recht anspruchslos in seiner Sauenwahl. Am liebsten deckt er die blödesten Mastschweine. Sein Bad-Boy-Image ist ihm abhanden gekommen, denn seine Zeugungsfähigkeit steht jüngst infrage. Er ist ein adeliges Schwein und heißt Eberhard von Flake mit vollem Namen. Aus: Anjas Schweine, Digitaldrucke nach Zeichnungen, Text, Maße variabel
  • Dropsi. Sohn von Mohn. Dropsi ist ein bisschen zurückgeblieben und wohnt auf dem Hof mit einem Betreuer. Als Kind war er lange sehr klein und hatte Schwierigkeiten, die Zitze seiner Mutter zu finden. Aus: Anjas Schweine, Digitaldrucke nach Zeichnungen, Text, Maße variabel
  • Wilma. Wilma ist eine wunderschöne Sau. Sie hat eine lange vornehme Nase. Ihr schwarz glänzendes Fell hat sie an viele sch.ne Kinder vererbt. Sie ist ängstlich und schüchtern und scheint nichts von ihrer Attraktivität zu wissen. Wilma liebt Wasser über alles und suhlt sich am liebsten im Schlamm. Aus: Anjas Schweine, Digitaldrucke nach Zeichnungen, Text, Maße variabel
  • Gretel. Gretel ist eine liebe, nicht sehr schlaue, dafür umso verfressenere Muttersau. Sie liebt es, gestreichelt und gekratzt zu werden. Sie ist die beste Freundin von Aschenputtel. Aus: Anjas Schweine, Digitaldrucke nach Zeichnungen, Text, Maße variabel
  • Mohn. Mohn liebt Snacks. Am liebsten alte Schokocroissants. Mittlerweile sieht man ihr das auch an. Sie ist lieb und verschmust, hat ein Knickohr und ist sehr beliebt. Sie geht gern mit ihrer Schwester Klee spazieren. Aus: Anjas Schweine, Digitaldrucke nach Zeichnungen, Text, Maße variabel
  • Klee. Klee ist die Schwester von Mohn und hat einen eigenwilligen Charakter. Sie ist freiheitsliebend und geht gern spazieren. Dabei nimmt sie manchmal ihre ganze Familie mit. Ihre hohe Intelligenz zeigt sich an ihrer Ausbruchsfähigkeit. Aus: Anjas Schweine, Digitaldrucke nach Zeichnungen, Text, Maße variabel

Die für ihre skurril-melancholischen Tierwelten bekannte und in Leipzig lebende Comiczeichnerin Anna Haifisch eröffnet ocular witness: SCHWEINEBEWUSSTSEIN mit Porträts von Weideschweinen. Anja Koch, die den Betrieb Fläminger Weideschweine betreibt und Halterin dieser Tiere ist, entwarf die in knappen Texten gehaltenen Charakterisierungen der Schweine. Es vermittelt sich Sozialität und Individualität dieser klugen Wesen. Wir wissen, dass die Anatomie der Schweine der der Menschen in mancherlei Hinsicht ähnlich ist und dass sie daher in der humanmedizinischen Forschung zum Einsatz kommen. An der Transplantation von Schweineherzen in Menschen wird gearbeitet.

Dass die Unterscheidung zwischen Tier und Mensch keinen biologischen, vielmehr kulturellen Festschreibungen folgt, ist ebenso bekannt, auch wenn wir das in der Alltagssprache eher ungenau handhaben. Zudem »verschleiert die Kategorie ›Tiere‹ selbst bei einer Verwendung des Begriffs im Plural die Unterschiede, die zwischen der Mannigfaltigkeit an Lebewesen, die unter den Begriff subsumiert werden, bestehen, weshalb auch diese Kategorie […] zu einer Aufrechterhaltung des Mensch- Tier-Dualismus beiträgt«, wird in der Tradition des Philosophen Jacques Derrida konstatiert.¹

Michail Bulgakow durchdachte in der Erzählung Hundeherz (auch Das hündische Herz) die Transplantation eines Herzens in die entgegengesetzte Richtung, also vom Menschen in ein Tier, genauer: in einen Hund. Geschrieben 1925 in der Sowjetunion, zu einer Zeit, in der der sozialistische Staat kapitalistische Wirtschaftsmechanismen einführte, war Hundeherz gespickt mit Anspielungen auf die absurden Widersprüche zwischen revolutionärer Hoffnung, offizieller Propaganda und Tagesrealität. Das Eingreifen des Menschen in die Natur und die Überhöhung des Menschen als dem nichtmenschlichen Tier überlegen grundieren den Stoff satirisch: Der Hund verkommt »moralisch«, wird ein höchst unangenehmer Zeitgenosse, nachdem ihm das Herz eines Menschen eingepflanzt worden ist. Hundeherz besaß so viel politische Sprengkraft, dass die Erzählung in der Sowjetunion erst 1987 offiziell veröffentlicht werden konnte.²

Die Schweine von Anja Koch begegnen uns in den Zeichnungen Anna Haifischs auf fabelhafte Weise. Real leben sie wie vor noch nicht allzu langer Zeit üblich. Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden vor allem Buchen- und Eichenwälder, Feuchtgebiete, Auen und Sümpfe für die Schweinemast genutzt. Heute wird diese Art der Tierhaltung nur noch selten und vor allem in Biobetrieben praktiziert. Sie berücksichtigt die Bedürfnisse der Tiere und garantiert weitestgehende Unabhängigkeit vom agrarindustriellen Komplex, doch der Gewinn ist gering. Auch betrachten konventionelle Schweinebetriebe die Weideschweine als Gefahr für ihre eigenen, hochempfindlichen, da auf ökonomische Effizienz gezüchteten großen Bestände. Im Freien gehaltene Schweine seien anfällig für von Wildschweinen übertragene Krankheiten und wiederum selbst an deren Verbreitung beteiligt.

Die Lebensmöglichkeiten von Schweinen wie die aller anderen Nutztiere werden in der Regel mit größter Selbstverständlichkeit von menschlichen Ökonomien bestimmt – Ökonomien, in denen auch die Verbraucher in erster Linie als Mittel zur Gewinnmaximierung und Renditeerhöhung betrachtet werden. Das Verhältnis des menschlichen zum nichtmenschlichen Tier zu überdenken ist daher nicht nur im Kontext von Tierethik und Nachhaltigkeit nötig. Es ist schlicht eine Frage der

Selbstachtung: In welche Art Ökonomien möchten wir eingebunden werden und in welcher Funktion? Wird die Diskussion um Ernährung nicht zuletzt deswegen so emotional geführt, weil wir es hier wenigstens partiell in der Hand hätten?

¹ Chimaira – Arbeitskreis für Human Animal Studies, »Eine Einführung in Gesellschaftliche Mensch-Tier-Verhältnisse und Human-Animal-Studies«, in: ders., Human Animal Studies, Bielefeld 2011, S. 8.

² Erste deutsche Ausgabe Luchterhand, Neuwied – Berlin 1968. 2013 erschien eine Neuübersetzung von Alexander Nitzberg mit dem Titel Das hündische Herz, die auf der letzten Fassung von Bulgakows Text basiert.

Biografien

Anna Haifisch

*1986, Leipzig; lebt in Leipzig

• 2004–2011 Studium der Illustration an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig • 2008 –2010 Siebdruckerin bei Kayrock Screenprinting, Brooklyn, New York • 2012–2015 im Anschluss an das Studium Meisterschülerin bei Thomas M. Müller, Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB), Leipzig

A 2022 Chez Schnabel, Museum der bildenden Künste, Leipzig (E) (K); Hi Life, Kunstverein Erlangen; Homi, Kunsthalle Osnabrück (E) • 2021 The Artist – Ode an die Feder, MOM art space, Hamburg (E) • 2019 The Mouse Glass, Riso Club, Leipzig (E) • 2018 Fuji-San, Kabinettspassage, Museumsquartier, Wien (E); Drifter, Micēlijs, Riga (E)

P The Artist, omnibus edition, Berlin, 2022 • Residenz Fahrenbühl, Leipzig 2021 • Schappi, Kassel 2020 • I can’t find my Shoes, Berlin 2020 • Von Spatz, Montreal 2018 • Fuji-San, Wien 2018 (teils auch in französischen, englischen, schwedischen Ausgaben)

Anja Koch

*1980 Gießen; lebt in Brück / Fläming

• Ausbildung zur Landwirtin, Abschluss als Landwirtschaftsmeisterin • seit 2019 Betreiberin des Biohofs Fläminger Weideschwein